In Hamburg und seinem Umland herrscht im Mai 2023 hektische Betriebsamkeit. Plötzlich ist aufgefallen, dass es Ärztemangel geben könnte. Das Hamburger Abendblatt berichtet über die Debatte erfreulich sachlich und unvoreingenommen, so dass alle Interessierten sich ein Bild von den unterschiedlichen, bzw. gar nicht so unterschiedlichen Standpunkten der Politiker machen können. Die so dokumentierten Diskussionen sind nicht nur exemplarisch für den Umgang mit dem Ärztemangel, sondern auch ein Paradebeispiel für die die Art und Weise, in der überall im Land schwierige Probleme angegangen werden. Wie in einem Lehrbuch kommt dabei das gesamte Arsenal bundesdeutscher Politikmethoden zum Einsatz:Wegsehen, Verleugnen, Vernebeln, Drum herumreden, Harte und Notwendige Konsequenzen ausblenden, Ersatzschauplätze aufmachen, Profilieren im Streit um Pseudolösungen und schließlich: Beifallhaschen und Selbstlob für Nichts.
Lauenburg:
Lauenburg liegt etwa 40 km süd.stlich von Hamburg und damit noch im Einzugsgebiet meiner eigenen Praxis. Dass dort trotz der Nähe zur Großstadt und der wunderbaren Landschaft Ärztemangel herrscht, will ich gerne glauben. Es verwundert eher, dass die Politiker das erst jetzt bemerken. Schon lange höre ich von Kollegen aus den kleinen Städten und Dörfern östlich von Hamburg, vor allem Lauenburg und Schwarzenbek, wie schwierig es geworden ist, Nachfolger für die eigene Praxis zu finden.
Vor vielen Jahren rief ich einmal in der Praxis eines alteingesessenen und über die Stadtgrenze hinaus bekannten Hausarztes an, weil ich bei einem seiner Patienten den Verdacht auf eine Tuberkulose hatte. Von der äußerst patenten Arzthelferin erfuhr ich, dass ihr alter Chef die Praxis gerade verkauft hätte. Lange hätte er keinen Nachfolger gefunden, jetzt seien sie
eine Zweigpraxis einer anderen Hausarztpraxis von außerhalb. Der angestellte Arzt sei noch nicht so lange in Deutschland und würde praktisch kaum Deutsch sprechen. Ich solle lieber ihr alles Nötige mitteilen, sie würde es dann ganz langsam dem angestellten Arzt oder im Notfall dem neuen Chefs übermitteln. Ich ließ mich darauf ein und zum Glück klappte auch Alles. Allerdings taten mir die Patienten leid, die einen überdurchschnittlich guten Hausarzt gewohnt waren und nun nur noch schwer sprachlich zu ihrem neuen Arzt durchdringen konnten. Jedenfalls ist in Lauenburg jetzt Holland in Not und die Lokalpolitiker überschlagen sich mit Ideen und philosophieren über die möglichen Gründe des Ärztemangels. (HAB 13.5 2023)
Sind junge Mediziner unselbständig?
Richtig neue Gedanken haben sie dabei nicht. Stattdessen erschallt wie in einer Gebetsmühle das immer gleiche Mantra: „Hintergrund dieser Entwicklung ist auch, dass junge Mediziner immer mehr das Risiko und die Umstände der direkten Selbstständigkeit scheuen.“
Über die junge Generation wird hier zum dreitausendsten Mal eine Bewertung abgegeben, die ganz offensichtlich nicht zutrifft. Die sogenannte „Generation Z“ soll ja angeblich verschiedene Eigenschaften haben, die auch mir nicht zusagen.
Das mag vielleicht ein schönes Thema für die Feuilletons sein. Aber es ist doch nicht zu übersehen, dass sehr viele junge Leute Freude daran haben, eigene Unternehmungen und Start-ups zu gründen. Während in meiner Jugend Abiturienten in großen Massen Soziologie, Politologie oder andere Fächer studierten, die nur wenig zum Reichtum der Nationen beitragen, träumen heutzutage viel mehr Absolventen von einer erfolgreichen Karriere als Jungunternehmer.
Und in diesem kulturellen Umfeld sollen Ärzte und Ärztinnen zu gemütlichen Schnarchnasen mutieren, die eigener Verantwortung und Selbständigkeit weiträumig aus dem Weg gehen? Das kann man nicht ernsthaft glauben.
Junge Leute sind gerne Gründer
Wer nur zwei Ecken weiter denkt, wird leicht zu folgendem Schluss kommen: Die jungen Gründer von heute sind
angetrieben von der Idee, mit ihrem Start-up einen ökonomischen Erfolg hinzukriegen. Sie wollen damit zumindest wohlhabend werden und auch sozial geachtet. Einige träumen davon, mit ihrer Neugründung sogar reich zu werden.
Das sind in etwa auch die Hoffnungen, die sich junge Ärzte früher machten, wenn sie ihre Praxis auf dem Land eröffneten. Und anders als die Start-up Gründer von heute waren die Erfolgsaussichten dafür deutlich besser. Deshalb musste sich
kein einziges Dorf Sorgen machen, ärztlich unterversorgt zu sein. Heute gibt es diese Erfolgsaussichten für Jung-Ärzte nicht mehr. Denn jahrzehntelang wurde den Praxisärzten ein Inflationsausgleich vorenthalten. Die Honorare sind im Vergleich – auch zu den Klinikhonoraren – einfach zu niedrig. Deshalb fehlen Ärzte jetzt in allen Regionen. Und das ist nur der Anfang!
Keine Hoffnung auf Wohlstand
Die Hoffnung mit ihrer Praxis reich zu werden, haben potentielle Praxisgründer deshalb sowieso schon lange nicht mehr. Aber sie sind auch realistisch genug, um zu erkennen, dass selbst die Hoffnung, mit einer eigenen Praxis zu Wohlstand und Achtung zu kommen, ein sehr unsicheres Unterfangen ist.
„Man muss noch nicht spenden für die niedergelassenen Ärzt“ schreibt der Abendblatt Redakteur Christoph
Rybarczik in seinem Kommentar und hat natürlich Recht damit. (HAB 25.5 2023)
Die existierenden Praxen stehen in ihrer großen Mehrheit nicht kurz vor der Pleite, obwohl auch das vorkommt. Die
meisten Praxisbesitzer kommen schon irgendwie zu recht. Aber um ausreichend junge Ärzte zu gewinnen, den Schritt
zur eigenen Praxis zu gehen, dafür sind die Umsätze der Praxisärzte schon lange viel zu gering. Eher geschieht das
Gegenteil: Ärzte, die kurz vor dem Erreichen des Rentenalters stehen, verabschieden sich vorzeitig in den Ruhestand,
und zwar immer öfter ohne Nachfolger.
Außer Räsonieren nichts gewesen
Eine Lösung für das Problem in Lauenburg und anderswo ist daher nicht in Sicht. Wie sollte die auch aussehen, wenn das Problem die zu niedrigen Ärztehonorare sind. Über die wird nicht auf dem Dorf, sondern in Berlin entschieden.
Kein Wunder also, dass den Lokalpolitikern in Lauenburg nicht viel anderes einfällt als „möglicherweise“ ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu gründen. Sie wissen zwar noch nicht, wie das die Lage ändern soll. Denn auch ein MVZ
muss ja ausreichende Umsätze erwirtschaften. Allerdings besteht für die Politiker der Charme dieser noch unkonkreten „Lösung“ darin, sich nicht weiter mit der Realität und der logischen, eigentlich ganz einfachen Lösung auseinanderzusetzen. Die Wahrheit will keiner von ihnen aussprechen, obwohl sie so klar auf der Hand liegt: Die Honorare der Ärzte sind viel zu niedrig. Wenn man sie deutlich erhöhen würde, gäbe es keinen Ärztemangel.
Itzstedt
Während sie in Lauenburg noch über die Möglichkeit eines MVZ grübeln und noch nicht wissen, wie das funktionieren
soll, ist man in Itzstedt und Bad Bramstedt schon weiter. Itzstedt liegt im Norden von Hamburg hinter Kayhude, also
ziemlich ab vom Schuss, das ruhige Bad Bramstedt noch weiter nördlich. Bad Bramstedt ist in Medizinkreisen bekannt
für die Psychosomatische Klinik und die alteingesessene Rheumaklinik, in der ich viele Jahre gearbeitet habe, weswegen
es mich so bedrückt, dass ihr jetzt die Insolvenz droht.
Ein Medizinisches Versorgungszentrum, getragen von der Gemeinde und einer Ärztegenossenschaft soll hier die Patientenversorgung sicher stellen, ein kommunales MVZ also. Ich will nicht verhehlen, dass mir persönlich diese kommunalen MVZ deutlich sympathischer sind als die kapitalistische Variante des MVZ im Besitz einer obskuren Kapitalgesellschaft. (HAB 25.5.2023)
Aber wie „nachhaltig“ wäre diese Lösung? In Itzstedt soll das kommunale MVZ erst 2025 an den Start gehen. In Bad Bramstedt läuft es schon. Das Abendblatt schreibt darüber:
„In Bad Bramstedt gibt es seit zwei Jahren ein weiteres kommunal betriebenes MVZ. Dieses hat im vorigen Jahr
zwar Einnahmen von 860.000 Euro verzeichnet, machte unter dem Strich aber noch ein Defizit von 180.000
Euro, weil die Anschubfinanzierung noch belastet.“
180.000 Euro Defizit
Diese Zahlen hören sich nicht gerade optimistisch an. Man muss sich nur einmal vorstellen, man wäre selbst als Arzt der Besitzer so einer „Start-up“-Praxis. Die wäre mit diesem Defizit schon nach zwei Jahren am Ende. Das kann ein Unternehmen nur durchhalten, wenn es von der Gemeinde subventioniert wird. Die Umsätze, die das MVZ von den Krankenkassen bezieht, reichen genauso wenig aus wie bei allen anderen Praxen. Kein Wunder, dass die junge Ärztegeneration diese Art der Selbständigkeit nur wenig attraktiv findet.
„Junge Ärztinnen und Mediziner wollen lieber angestellt im Team arbeiten“, sie hätten „andere Erwartungen“, begründet der Sprecher der KV Schleswig-Holstein die Unlust junger Ärzte in Itzstedt und Bad Bramstedt eine Praxis zu eröffnen.
Ich glaube nicht, dass diese Analyse zutrifft. Es dürften viel mehr die 180000 Euro Defizit sein, die kein vernünftiger Mensch sich als Lohn für harte Arbeit antun würde.
Geesthacht
Geesthacht liegt wie Lauenburg im Osten von Hamburg. Aus Geesthacht habe ich noch mehr Patienten als aus Lauenburg. Einem Abendblatt-Artikel vom 4.5.2023 entnehme ich, dass es zwischen Lauenburg und Geesthacht eine Konkurrenz um niederlassungswillige Ärzte gibt. Auch in Geesthacht ist nicht die Stadt schuld an der Situation. Sie ist wunderschön am Elbhang gelegen, dass Atomkraftwerk in Krümmel müssen auch Phobiker nicht mehr fürchten, da es abgestellt ist. In Geesthacht befinden sich ein bekanntes überregional agierendes medizinisches Labor.
Als ich in den Osten von Hamburg zog, lernte ich von meinen Patienten einen ziemlich fiesen Spruch über das dort ansässige Krankenhaus kennen. „Willst du sterben über Nacht, geh ins Krankenhaus Geesthacht“. Ich erfuhr nie, worauf sich der Vers bezog, ob möglicherweise vor 25 oder 30 Jahren irgend etwas vorgefallen sein könnte. Vielleicht fand auch nur jemand den Reim gut. Jedenfalls überstand das Krankenhaus diesen Spott während all der Jahre und ist für gute Geburtshilfe bekannt. Jetzt allerdings ist das kleine Krankenhaus nach meinem Gefühl ein aussichtsreicher Kandidat für eine Krankenhausschließung, wenn die geplanten Konzentrationen im Krankhauswesen umgesetzt würden.
Ist Aktionismus die Lösung?
Das wäre für die Stadt ein echtes Problem, denn es fehlen jetzt schon Hausärzte. Zusammen mit Lauenburg bildet Geesthacht einen Planungsbereich für Arztzulassungen. „Insgesamt fehlen hier elf Hausärzte, um die ärztliche Versorgung einigermaßen sicherstellen zu können. Laut Abendblatt soll sich in Geesthacht nun „eine Lösung abzeichnen“. Wenn man weiterliest, gewinnt man den Eindruck, dass diese Lösung zur Zeit wohl vor allem in reinem Aktionismus besteht:
„In Geesthacht haben Politik und Verwaltung inzwischen ordentlich Wirbel gemacht, um die prekäre Situation zu entschärfen: Die SPD startete eine Unterschriftenaktion in der Fußgängerzone, die Grünen legten einen ganzen Katalog an Vorschlägen vor, und Bürgermeister Olaf Schulze berief einen runden Tisch mit Hausärzten, Apothekern und Vertretern der KVSH ein.“
Neue Ärzte wird man mit Wirbel und einer Unterschriftenaktion kaum gewinnen. Das gelang dem ortsansässigem privaten MVZ inzwischen aus eigener Kraft und das wesentliche Mittel dazu hat ein einfaches Zeichen: „€“ Die Politik hat das noch nicht begriffen. Für die Ignoranz und Unaufrichtigkeit von Politikern liefert die SPD Geesthacht im Juni 2023 noch ein weiteres
Beispiel. (HAB 2.6.2023)
Sie will ihre 1.500 Unterschriften für mehr Hausärzte der KV Schleswig-Holstein überreichen, die sich völlig zu Recht weigert, diese Unterschriften anzunehmen. Denn über die Zulassung von Ärzten entscheidet nicht die Kassenärztliche Vereinigung, sondern der paritätisch von Krankenkassen und KV besetzte Zulassungsausschuss.
Aber auch der wäre nicht der richtige Adressat, sondern der SPD-Parteifreund Karl Lauterbach. Denn er entscheidet als Gesundheitsminister über die Einkünfte der Kassenärzte. Gerade erst hat er den Kassenärzten Einkommenseinbußen zugemutet, als er die von seinem Vorgänger eingeführte Neupatienten-Regelung strich und den Ärzten einen Inflationsausgleich verweigerte. Genau das macht die Niederlassung als Arzt gerade so unattraktiv.
Hamburg
Hamburg gilt nach den Zulassungsrichtlinien in fast allen Arztbereichen als überversorgt. Trotzdem ist die Klage über angeblich zu lange Wartezeiten in der gesamten Stadt endemisch. Das hat zwar auch viel damit zu tun, dass der „Hamburger an sich“ auch vor roten Ampeln schnell ungeduldig wird. Aber jetzt scheint die Lage in manchen Stadtvierteln wirklich dramatisch zu werden. 20 Hausarztsitze sind in der Hansestadt nicht besetzt. In dieser Situation versuchen sich die „Die Linke“ und die CDU zu profilieren.
Die Linke sieht natürlich soziale Ungleichheit. In sozial schwachen Vierteln gäbe es weniger Haus- und Kinderärzte als in den wohlhabenden. (HAB 25.5.2023)
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken Celik forderte eine „kleinräumige Bedarfsplanung, um Bedarfe besser abzubilden und entsprechend entgegenzusteuern“ (HAB) Ärzte könnten dann nicht mehr frei entscheiden, wo sie sich in Hamburg niederlassen, wenn sie eine neue Praxis eröffnen wollen. Nur noch die schlechter versorgten, ärmeren oder problematischeren Viertel blieben ihnen bei der Standortwahl.
Ist Bürokratie die Lösung?
Es dürfte kein Zufall sein, dass dem Linken Politiker sofort eine bürokratische Regelung in den Sinn kommt. Wer böse wäre, könnte fragen, ob evtl. eine Mauer zwischen den reichen und den armen Vierteln helfen könnte. Aber ganz sicher hat niemand in Hamburg, auch nicht bei der Linken, die Absicht eine Mauer zu bauen. Linke Lösungen zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie nicht funktionieren - so auch hier. Wenn es in Hamburg nur noch kleinere Planungsbereiche gäbe, hätte man zwar für die ärmeren Stadtteile eigene Planungsbereiche geschaffen. Aber durch diese Maßnahme würden diese Stadtteile für eine Praxisgründung nicht attraktiver werden. Es wäre wie in Lauenburg. Man würde niemanden für diese freien Bereiche finden. Denn das Hauptproblem bliebe bestehen: Die Einnahmen der Praxisärzte sind zu gering.
Die Arbeit in einem sozialen Brennpunktgebiet ist nicht nur anstrengender, sie wird auch schlechter bezahlt. Der Grund besteht unter anderem darin, dass die Praxen dort niedrigere Einnahmen durch Privatpatienten und Selbstzahler haben.
Die Einnahmen aus der gesetzlichen Krankenkasse reichen aber bei weitem nicht aus, um gut über die Runden zu kommen.
„Lieber keine Praxis als eine Pleitepraxis“
Auf die Idee, dass Ärzte in ein soziales Brennpunktgebiet ziehen würden, weil die Planungsbezirke in den reichen gesperrt wurden, können nur Linkenpolitiker kommen. In der Realität würden einfach weniger Arztstellen in ganz Hamburg besetzt werden. Die Ärzte würden lieber auf andere Tätigkeitsbereiche ausweichen, in denen die erforderliche Selbst-Ausbeutung nicht so ausgeprägt ist, als ein primär defizitäres Unternehmen zu gründen. Nach dem Motto: „Lieber keine Praxis als eine Pleitepraxis.“
Das zeigt ja das Beispiel Geesthacht/Lauenburg. Hier gibt es jede Menge freie Arztstellen, aber sie werden einfach nicht besetzt. Deshalb ist auch die Vorstellung absurd, den Ärztemangel dadurch beheben zu können, dass mehr Ärzte zugelassen werden als bisher. Das Problem besteht ja nicht darin, dass es zu wenig Arztsitze gibt. Das Problem ist, dass sich immer seltener jemand findet, der sie haben möchte.
Wenn allerdings doch einmal der seltene Fall eintritt und in einem Fachgebiet ein zusätzlicher Arztsitz geschaffen würde, und wenn dieser dann auch noch besetzt werden sollte, wären die Auswirkungen wegen der Budgetierung der Arzteinkünfte ebenfalls mehr als kontraproduktiv. Darauf weist zurecht die Vorsitzende des Hausarztverbands Jana Husemann hin. „Bisher schmälert jeder Sonderbedarf den Topf für alle, weil damit mehr Köpfe das gleiche Honorarvolumen aufteilen“
Weil die gesamten Einnahmen einer Arztgruppe gedeckelt werden, führt jeder neu geschaffene Arztsitz dazu, dass alle anderen Ärzte dieser Gruppe weniger Geld für die gleiche Arbeit erhalten. Der Umsatz aller Praxen sinkt durch jede neue Praxis- und das ist alles andere als ein Anreiz, in eine Praxis einzusteigen. Der kurzfristige Vorteil eines neu geschaffenen Kassensitzes verkehrt sich, solange es Budgets für die Ärztehonorare gibt, sofort in sein Gegenteil und verstärkt so auf Dauer den Ärztemangel.
Ist Populismus die Lösung?
Auch bei der CDU könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie von Wirtschaft nicht so viel versteht, wie sie denkt. Denn deren Fraktionschef Dennis Thering fordert fast das gleiche wie die Linke, nämlich kleinere Planungsbezirke und zusätzliche Zulassungen. Man spürt das Bedürfnis der Partei, auf billige Art und Weise einen Punkt zu machen. Schließlich hat die CDU in den letzten Jahrzehnten viele Bundesgesundheitsminister gestellt. An der Unterfinanzierung der Praxen ist sie nicht unschuldig.
Immerhin schlägt die CDU vor, Ärzten, die Praxen in unterversorgten Gebieten übernehmen Starthilfen und „direkte finanzielle Anreize“ zukommen zu lassen. Aber das wird aus den genannten Gründen nicht funktionieren. Denn die schönste Starthilfe taugt nichts, wenn die laufenden Einnahmen der Ärzte viel zu niedrig sind.
Mit Pseudoproblemen Profilieren und das Kernproblem umgehen
Es ist also so, wie es immer ist, wenn es um schwierige Probleme in Deutschland geht. Jede Partei kann sich – natürlich unter Beachtung der jeweiligen ideologischen Färbung - mit Pseudolösungen profilieren, und dabei das Kernproblem gezielt ignorieren. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. In dieser Debatte fehlt eigentlich nur noch die FDP mit dem Vorschlag, dass digitale Lösungen die Lösung wären.
Grüne und AfD könnten - jede auf ihre Art - die Diskussion mit einem Beitrag zur Rolle der Migration beleben und die SPD könnte einige Maßnahmen fordern, bei denen ein paar Stellen für die AWO herausspringen. Auch Ärzte könnte sich einschalten und Hinweise geben, die zwar deutlich näher am Thema, aber trotzdem knapp daneben liegen.
Man könnte als Arzt zum Beispiel darauf hinweisen, dass viele Arztbesuche überflüssig sind oder fordern, dass die Budgetierung aufgehoben wird. Aber auch diese Debattenbeiträge umschiffen elegant den Kern des Problems: Der Ärztemangel existiert und er wird zunehmen, weil die niedergelassenen Ärzte jahrzehntelang zu niedrig bezahlt wurden. Das muss sich grundlegend ändern, wenn man den weiteren Niedergang der ambulanten Medizin verhindern will.
Dazu reicht es nicht aus, nur die Budgetierung aufzuheben oder den Ärzten in diesem Jahr ein paar Prozent
mehr zuzugestehen.
Der Nachholbedarf ist so groß, dass die Rettung der ambulanten Medizin nur gelingt, wenn die Umsätze der
Ärzte wieder die -inflationsbereinigte – Höhe der neunziger Jahre erreichen würde. Das war für Patienten die
goldene Zeit, in der Ärztemangel unvorstellbar erschien. Doch dafür bräuchte es so etwas wie einen
„Doppelwumms“ oder eine „Bazooka“ für das Honorar der Ärzte. Ein Fall für Olaf Scholz?