Vieles hat sich in der ärztlichen Weiterbildung verändert - aber längst nicht nur zum Guten.
Dagegen müssen die Kammer mehr Engagement entwickeln.
„Orthopäden lernen in ihrer Weiterbildung die ganze Zeit das Operieren. Und wenn sie es endlich können, gehen die meisten von ihnen in die Praxis, wo sie etwas ganz anderes machen, nämlich
konservative Orthopädie, und das lernen Sie in der Klinik nicht.“ Mit dieser ermutigenden Aussage begrüsste mich ein erfahrener Kollege zu Beginn meiner Weiterbildung.
Er riet mir, mich in Eigeninitiative weiterzubilden, auch wenn die dafür erforderlichen Kurse für Chirotherapie, Psychosomatik und andere konservative Methoden viel Geld und Zeit kosten
würden. Diesem Ratschlag und der Tatsache, dass mein erster Chef mich nicht nur viel operieren, sondern auch noch in seiner Praxis mitarbeiten ließ, habe ich sehr viel zu verdanken.
Inzwischen scheinen sich die Zeiten geändert zu haben, aber leider nicht zum Positiven. Heutzutage höre ich immer häufiger von jungen Kollegen, dass sie auch nicht mehr das Operieren lernen. Das betriebswirtschaftliche Denken bestimmt den Takt der Krankenhäuser, hier ist die Weiterbildung für junge Ärzte überhaupt nicht „eingepreist“, und deswegen findet sie oft auch nicht statt. Ich habe den Eindruck, dass dies besonders (aber nicht ausschließlich) die Kliniken betrifft, die operative Orthopädie in industrialisierter Form betreiben.
Während es auch früher schon nicht einfach war, den „OP-Katalog voll zu kriegen“, ist es jetzt fast unmöglich. Weil das so ist, wurden die Mindestanforderungen für die Zulassung zur Facharztprüfung immer weiter abgesenkt. Sie sind inzwischen so niedrig, dass man sich fragt, warum die Weiterbildungszeiten immer noch so lang sind, bzw. inzwischen sogar noch verlängert wurden. Aber Weiterbildungsassistenten sind eben auch günstige, akademische Arbeitskräfte.
Früher war die Zuteilung der OPs ein gern genutztes Disziplinierungsmittel, heute wird es anscheinend oft gar nicht erst versucht, den OP-Katalog zu füllen. Ich höre immer wieder hinter vorgehaltener Hand, dass den jungen Ärzten schon gleich zu Beginn der Weiterbildung erklärt wird, dass sie während ihrer Weiterbildung nicht zum Operieren kommen, aber dass man ihnen alles bescheinigen wird, wenn sie gute Arbeit leisten.
Eine junge Kollegin berichtete mir, dass sie aus diesem Grund zwei Weiterbildungsstellen schon nach kurzer Zeit wieder verließ, bis sie schließlich in der dritten Klinik - irgendwo auf dem platten Land – die geforderten Operationen auch wirklich durchführen durfte.
Als Prüfer für die Ärztekammer bekommt man zur Beurteilung von Anträgen zur Facharztprüfung keine OPKataloge mehr vorgelegt, sondern nur noch die Logbücher der Prüflinge. In diesen werden meist die einzelnen Punkte mit einer großen Klammer umfasst und pauschal vom Chef unterschrieben. Papier ist bekanntlich geduldig, aber die Hürde einen weitgehend erfundenen, detaillierten OP-Katalog zu unterschreiben, dürfte höher liegen als die für eine schnelle Unterschrift in das Logbuch. So scheint es mir, dass das Logbuch, das einmal in der wohlmeinenden Absicht eingeführt wurde, die Ausbildungsinhalte zu garantieren, jetzt oftmals die Funktion übernimmt, eine unvollständige Weiterbildung zu kaschieren.
Als Prüfer steht man in diesen Fällen vor einer undankbaren Aufgabe. Will man weiter nachhaken, geht das zu Lasten des einzelnen Kollegen. Lässt man es laufen, wird sich nichts ändern.
Mit dem freundlichen Durchwinken einer unvollständigen Weiterbildung tut man der Gesamtheit der jungen Kollegen keinen Gefallen. Denn während den einen die Möglichkeit einer soliden Ausbildung vorenthalten wird, sind die anderen, die das Glück haben, in einer Klinik zu arbeiten, die sich für die Weiterbildung engagiert, ebenfalls betroffen. Ihnen schadet der „Wertverlust“ ihrer Facharztbezeichnung.
Das gilt nicht nur für die Orthopäden, sondern vermutlich auch für eine ganze Reihe anderer Facharztgruppen. Anders als andere akademische Berufe, beginnen Ärzte nach ihrem sechsjährigen Studium ihr Berufsleben nicht auf dem normalen Arbeitsmarkt. Sie verdienen zunächst weniger, weil sie erst ihre Weiterbildung absolvieren müssen. Das mag gerechtfertigt sein, wenn sie in dieser Zeit auch wirklich etwas lernen. Wenn ihre Haupttätigkeit aber darin besteht, Patienten zu begrü.en, Anamnesen zu erheben, Haken zu halten und Arztbriefe selbst in den Computer einzugeben, dann ist eine Weiterbildungszeit von fünf Jahren nichts anderes als eine Form des Lohndumpings.
Dagegen müssten die Ärztekammern mehr Engagement entwickeln. Zwei Maßnahmen sind dazu erforderlich. Zum einen muss mehr auf die Einhaltung der aktuellen Weiterbildungsanforderungen geachtet werden. Dazu gehört meines Erachtens auch die Pflicht, einen OP-Katalog vorzulegen – zusätzlich zum Logbuch. Zum anderen muss mehr Weiterbildung in die Praxen verlagert werden. Man sollte den Praxen statt nur ein Jahr wie bisher, drei Jahre Weiterbildungsermächtigung geben. Denn in der Praxis lernen Assistenzärzte in der Regel sehr viel mehr als in der Klinik. Vor allem aber nehmen sie von dort etwas sehr Wichtiges mit: Das Wissen und die Fertigkeiten, die die meisten von ihnen später in ihrer eigenen Praxis benötigen.