Durch das Herunterfahren des Wettkampfsports gibt es weniger Sportverletzungen. Alleine das Ausfallen der Skisaison dürfte in den spezialisierten Praxen und Kliniken der alpinen Skiorte zu ordentlichen Umsatzeinbußen geführt haben. Den Ärzten im Rest der Republik hingegen bleibt genug Beschäftigung – nur das Spektrum der Erkrankungen ändert sich. Statt mit Umknicktrauma und Tennisellenbogen haben wir es jetzt verstärkt mit Homeoffice-Rücken und Corona-Wampe zu tun.
Denn das Fehlen ihrer sportlichen Aktivitäten bekommt unseren Patienten gar nicht gut. Während am Anfang noch viele Menschen diszipliniert ihre Joggingrunden im Stadtpark drehten und zuhause fleißig ihre Youtube-Fitnessprogramme absolvierten, lässt in den letzten Monaten die Disziplin bei den meisten nach.
Jetzt wird deutlich, wie wichtig die Sportvereine für die Gesundheit der Bürger sind. Es geht eben nicht nur darum, Sportplätze und Geräte zurVerfügung zu stellen, sondern auch um die gegenseitige Motivation, die Gemeinsamkeit und die Geselligkeit beim Sport.
Nicht jeder braucht diese kommunikative Seite des Vereinslebens, aber für die große Mehrheit ist sie eine der wichtigsten Triebkräfte. Dass Sport gesund ist, denken viele. Dieser vernünftige Grund Sport zu treiben, bringt einen kurzen nach Sylvester zwar dazu, endlich mal wieder Sport zu treiben. Aber um das nach Ostern und Pfingsten auch durchzuhalten, hilft
es sehr, wenn der Sport auch Spaß macht und das Gruppenleben gleichermaßen Freude wie Verpflichtung erhöht.
Herunterfahren des Vereinssports ein großer Fehler
Wenn nach der Pandemie Bilanz gezogen wird, dann dürfte sich das zu rigorose Herunterfahren des Vereinssports als einer der größten Fehler erweisen.
Während Jugendliche im privaten Rahmen sich klandestin in engen Räumen trafen und ihre Langeweile gemeinsam pflegten, wurde der Sport in großen Hallen und selbst an der frischen Luft weitgehend unterbunden.
Die Gefahr eines Superspreader-Events beim Fußballspielen an der frischen Luft dürfte aber deutlich geringer sein als im Partykeller.
Es war auch nicht so, dass die Sportvereine keine Hygienekonzepte und kreative Ideen gehabt hätten, die man
– vielleicht sogar mit wissenschaftlicher Begleitung – in der Praxis hätte testen können. Die Sportabstinenz zeitigt aber nicht nur negative Folgen während der Pandemie, sondern möglicherweise auch danach. Denn es gibt Langzeitfolgen, die so etwas wie die zweite Welle der Corona-Wampe bewirken könnten.
Es besteht die reale Gefahr, dass sich viele Sportler ihrem Sport entwöhnt haben. Es nicht selbstverständlich, dass diese Entwöhnung komplett rückgängig zu machen ist. Ob das alte Niveau schnell wieder erreicht wird, ist daher nicht ausgemacht. So sanken in der Pandemie die Mitgliederzahlen der Sportvereine, wobei vor allem diejenigen wegblieben, die keine traditionellen und gewohnheitsmäßigen Sportler sind. Es fehlen damit vor allem diejenigen, die gerade mit Sport beginnen.
Laschheit und Verfolgung von geringen Verstößen im Gegensatz
In dem Verein, den ich als Vereinsarzt betreue, lag die Mitgliederzahl erstmalig seit zwei Jahrzehnten unter der Marke von 10.000. Das lag weniger an Austritten von Mitgliedern, sondern an fehlenden Neueintritten, wodurch sich die Bilanz der natürlichen Fluktuation ins Negative drehte.
Der Verein hielt dagegen, machte online Angebote für die Mitglieder, bot in den großen Wohnsiedlungen „Balkonsport“ an, den Trainer auf dem Rasen vor den Hochhäusern choreographierten. Und er sorgte für den Zusammenhalt der Mitglieder, was gerade während des Lockdowns eine große soziale Bedeutung hatte. So wie in Bergedorf dürfte es an vielen Orten der Republik gelaufen sein.
Auf die angeblich so überforderten Behörden konnten die Vereine dabei nicht unbedingt rechnen. In Hamburg hatten sie aber im Oktober Zeit genug, um stattdessen den Vorsitzenden unseres Vereins mit einem Bußgeld von 5.000 Euro zu belegen, weil
6 Monate zuvor zwei junge Skater auf der vom Verein schon geschlossenen Skateranlage ihre Runden drehten. Der Verein hätte für die nicht umzäunte Anlage wohl einen Wachdienst einstellen müssen, um zu verhindern, dass Coronaviren auf Skateboards ihr Unwesen treiben.
Hier wird ein wesentliches Problem des Umgangs mit Corona in den unteren Abteilungen der Ämter deutlich. Laschheit auf der einen Seite – z.B. bei der Kontrolle von Hochzeiten von Großfamilien ohne Maske und Abstand – kontrastierte mit einer flächendeckenden Übertreibung und kleinlichen Verfolgung von geringen Verstößen – z.B. von kickenden Jugendlichen im Park.
Statt Sport draußen, oder wie unser Verein es tat, im Freien unter einem offenen Zeltdach zu ermöglichen, wurde beim Sport viel zu viel verboten. Jetzt brauchen wir eine schnelle Korrektur, um den Kampf gegen die zweite Welle der Corona-Wampe zu gewinnen. Der Sport muss wieder auf die Beine kommen. Dafür brauchen die Sportvereine auch die Unterstützung von uns Ärzten und Psychotherapeuten.
Wir sollten ganz gezielt und noch mehr als sonst, unseren Patienten empfehlen, Mitglied in einem Sportverein zu werden.
Wir nehmen uns damit keine Arbeit weg, aber alle unsere Präventionsbemühungen werden dadurch erfolgreicher sein.
13.06.2021, 06:44, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG