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Die 1.-April-Bruchlandung

In den hierarchisch autoritär strukturierten Gesellschaften Asiens soll es ein interessantes Phänomen geben: Das Risiko für einen Flugzeugabsturz steigt, wenn der Kapitän fliegt. Es ist hingegen niedriger, wenn der Erste Offizier am Steuer sitzt. So beschreibt es Malcom Gladwell, einflussreicher US-Journalist und Autor der Zeitschrift The New Yorker. Er gibt in seinem Bestseller „Überflieger“ auch den Grund dafür an: Der untergebene Offizier wagt es meist nicht, seinen Chef auf Fehler aufmerksam zu machen.

 

Dieser Mechanismus zusammen mit der autoritären Staatsform dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass die Volksrepublik China die Corona- Epidemie anfangs nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Die untergeordneten Stellen hatten Angst, die schlechte Nachricht nach oben zu melden. 

 

Doch nachdem die Bedrohung erkannt und akzeptiert wurde, reagierte das große China auf beeindruckende Art und Weise und bekämpfte das Virus mit höchster Effizienz. Die Konsequenz, mit der die Chinesen die Pandemie besiegten, ist dabei nicht allein dem autoritären System geschuldet. Denn auch die demokratischen Länder in Asien wie Südkorea und Taiwan bewältigen die Epidemie besser als wir Europäer.

 

Warum ist das so? Es hat vielleicht auch etwas mit der kulturellen Wertschätzung von Tüchtigkeit, Vitalität und effektivem Handeln zu tun. 

 

 

Stotterstart in der Pandemiebekämpfung

In Deutschland standen alle Informationen zur freien Verfügung. Auch hier gibt es Menschen, die wissen, was eine Exponentialfunktion ist – wenn vielleicht auch nicht ganz so viele wie in China. Aber die nötigen Schlüsse zu ziehen, hätte bedeutet freiwillig auf Karneval, Fußball und vor allem die Skiferien zu verzichten. Und das hielten viele vor einem Jahr noch für Panik. Die Chinesen sahen die Epidemie anfangs nicht, weil sie es nicht durften. Die Deutschen sahen sie nicht, weil sie es nicht wollten.

 

Seitdem vergeigt Deutschland in der Pandemie alle Anfangserfolge, die seinem guten Gesundheitswesen geschuldeten waren. Ob Schutzkleidung, Masken, Schnelltests oder Impfstoffe – überall war die Regierung zu spät und zu zögerlich.

 

Die Organisation der deutschen Pandemiebekämpfung lässt sich durch vier Begriffe charakterisieren:

 

 

Bürokratie

Alles soll bis ins Kleinste reguliert werden, von Behörden, die ihre Ineffizienz nicht nur beim Bau von Flughäfen bewiesen haben, sondern die in ihrer überblähten Selbstherrlichkeit ein mattes Abbild der Effektivität darstellen, für das Deutschland früher international bewundert wurde. An den Menschen vorbeizuregulieren – natürlich immer nur mit besten und allerbesten Zielen - ohne sich darum zu kümmern, was die Auswirkungen im Alltag sein werden - das kennen die Beschäftigten im Gesundheitswesen schon lange.

 

Der kurzzeitig drohende Ruhetag am 1.April ist so etwas wie ein Geschwisterkind der Elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der Elektronischen Patientenakte und einer ganzen Generation von Heilmittelrichtlinien, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

Nichts hinkriegen, aber überall reinregieren, ist die neue deutsche Behördenrealität. Ein gutes Beispiel dieser Realität ist die Unmöglichkeit, innerhalb eines Jahres die zeitnahe Meldung von Inzidenzen und Todesfällen, inkl. eines Bereitschaftsdienstes der Ämter am Wochenende, zu organisieren. Stattdessen wird nach noch mehr Personal in den überforderten Ämtern geschrien.

 

 

Inkonsequenz

 

Weil man das Offensichtliche nicht sehen wollte, wurde die Realität über weite Strecken ausgeblendet. Die Politiker machten den Anfang, als sie zu Beginn der Pandemie die Gefahr ausblendeten und sich stattdessen der Bekämpfung einer Panik widmeten, von der weit und breit nichts zu sehen war.

 

Die Corona-Leugner folgen eigentlich in ihrer schwurbeligen Argumentation nur den Politikern in deren Äußerungen vom Frühjahr 2020. Vielleicht taten sich deshalb viele Politiker schwer, diese wahnhafte Verleugnung der Realität als solche zu benennen.

 

Es wäre selbst eine Verschwörungstheorie, wenn man unterstellen würde, dass der Wahn der Coronaleugner von der Politik nur deshalb so schwach benannt und bekämpft wird, weil er hilft, jegliche berechtigte Kritik an den Coronamaßnahmen zu diskreditieren. Aber dass die Regierung diesen Effekt gerne mitnimmt und vom offensichtlichen Kontrast zu den Wahnhaften profitiert, das darf man schon annehmen.

 

Vielleicht war es einfach nur Pech, dass die Pandemie in den innerparteilichen Wahlkampf um den Vorsitz der großen Regierungspartei fiel. Aber nicht so ganz zufällig kam einer der Kandidaten auf die Idee, sich damit zu profilieren und beliebt zu machen, dass er möglichst schnelle Lockerungen forderte und verkündete, auch wenn die Grundlagen dafür nicht gegeben waren.

 

Bereits bei kleinsten Erfolgen feiern und alles wieder zurücknehmen, was die Erfolge bewirkte – das ist eigentlich das Misserfolgsrezept des Hamburger Sportvereins. Zumindest in der Pandemie wurde es aber auch das Erkennungszeichen der deutschen Politik. Weil zudem immer wieder das Notwendige zu spät oder zu inkonsequent unternommen wurde, gerieten die darauf folgenden, überschießenden Kompensationsmaßnahmen immer monströser und unverständlicher.

 

 

 

Laschheit

Sie trägt witzigerweise einen Namen. Aber nicht nur der NRW-Ministerpräsident muss sich den Vorwurf gefallen lassen, lau und töffelig zu agieren. Dass Impfstoffe in Deutschland produziert, aber im Land viel zu wenig verimpft werden, ist das schlimmste Beispiel des politischen Verpennens.

 

Es gibt viele Ansätze in der Welt, mit Covid 19 fertig zu werden. Viele Länder haben dabei gravierende und größere Fehler gemacht als die Deutschen. Aber sehr viele Staaten - von Neuseeland bis Israel - haben im Krisenmanagement einfach mehr Vitalität und Kraft gezeigt.

 

Selbst das Amerika unter Donald Trump reagierte letztendlich kraftvoll, kümmerte sich rechtzeitig um die nötigen Impfstoffe. Man mag kritisieren, dass der Konkurrenzkampf über den Preis unsolidarisch ist. Aber die Amis traten nicht nur als Käufer, sondern auch als Investoren von Produktionsstätten auf und sorgten so dafür, dass auch insgesamt mehr Impfstoffe produziert wurden.

 

In Deutschland hingegen schleppt sich die Impfkampagne müde dahin. Es gibt vermutlich zu wenig  CDU-Bundestagsabgeordnete, die sich darum kümmern wollen, vielleicht sind die Provisionen zu niedrig. 

 

Die niedergelassenen Ärzte wollen impfen, aber sie werden kontinuierlich ausgebremst. Nach einem Jahr Pandemie gibt es immer noch keine bundesweiten Konzepte für Schnelltests und für eine effektive Impfkampagne in den Arztpraxen. Von einer adäquaten Bezahlung der Stütze des Gesundheitswesens ganz zu schweigen.

 

 

 

Bürgerferne

Wer alles bürokratisch regulieren will, versäumt es, die Bürger mitzunehmen und sie für die Pandemiebekämpfung zu begeistern. Dass die Kanzlerin eine Blood-, Sweat- and Tears-Rede halten würde, um diese Begeisterung zu erzeugen, hat niemand von ihr erwartet. Aber das ist ja ein wesentlicher Teil des Problems. Die Mutti an der Spitze des Beamtenapparates wird es schon richten – das war jahrelang der common sense des Landes, von dem jetzt deutlich wird, dass er nicht funktioniert.

 

Eigeninitiative der Bürger ist nicht gewünscht, nicht einmal vorstellbar. Wenn Eltern auf eigene Initiative Luftreiniger für eine Schulklasse kaufen, geht das natürlich nicht – allein schon wegen der sozialen Gerechtigkeit nicht. Man muss schon so wie Lisa Federle gestrickt sein, um gegen solche Widerstände anzukommen, aber das sind nicht so Viele.

 

 

 

Drohender Pandemiecrash

 

Der bisherige Höhepunkt der verzweifelten Versuche, die Folgen der Versäumnisse in der Pandemiebekämpfung halbwegs zu beherrschen, war der Vorschlag, den 1. April zum zusätzlichen Ruhetag zu machen. Vielleicht steht dahinter das Bedürfnis, ein radikales und kräftiges Manöver zu tätigen, um dem drohenden Crash zu entgehen, der dadurch droht, dass man lockerte, weil man auf die Wirkung von Schnelltests und Impfungen hoffte, die aber dummerweise nicht in ausreichender Menge bestellt waren.

 

Wie viele Maßnahmen vorher, hatte man sich die praktischen Probleme bei der Umsetzung nicht überlegt. Es geht ja nur um Kleinigkeiten wie die Frage, ob Urlaubstage genommen werden müssen, wie der Einkauf vor den Feiertagen ablaufen würde, ob es Gedränge vor den Geschäften gibt und - ja auch um die Frage, was mit Patienten geschehen soll, für die Behandlungstermine in Praxen oder Kliniken geplant waren.

 

Selbst der große Vorteil des Westens, die Möglichkeit dem Chef zu widersprechen, scheint in den Jahren der Merkelschen Kanzlerinnenschaft geschwunden zu sein. In Kohlscher Manier hat sie eine Schar von abhängigen Gefolgsleuten um sich geschart, von denen Widerworte kaum zu erwarten waren. Das große Flugzeug, das sie steuert, liegt dadurch nicht unbedingt sicherer in der Luft.

 

Zum Glück ist dieser Jumbojet aber eine gute Konstruktion. Zumal der letzte Kapitän ihm noch ein paar Extras einbauen ließ, so dass er danach gar nicht so schlecht flog.

 

Aber jetzt ist der Flieger erneut klapperig geworden. Zu allem Überfluss wurde er in der Dienstzeit der amtierenden Kapitänin immer mehr überladen - mit ebenso modernen wie unwirksamen Apparaten zur Rettung der Welt, Gender-Equalizern, Klimaneutralisatoren und Geldvernichtungsmaschinen. In seinem Rumpf stapeln sich Unmengen von alten Karteischränken und Faxgeräten, die niemand mehr braucht. Trotzdem flog die Maschine irgendwie noch, wenn auch nicht mehr so hoch und schnell – bis Corona kam.

 

Die Kapitänin des großen Flugzeugs – das ahnt man spätestens seit 2015 – hat ihre Stärken vor allem auf Schönwetterflügen und schwächelt, wenn Turbulenzen und Krisen zu bewältigen sind. Das Corona Unwetter war anscheinend zuviel für die Kapitänin und ihren Chefsteward. Nachdem so viel nicht funktionierte, war die Idee, den 1. April zum „Ruhetag“ zu machen, eine typische Panikreaktion. Immerhin zog sie den Vorschlag so rechtzeitig wieder zurück, dass die Bruchlandung noch knapp vermieden werden konnte.

 

Erstaunlicherweise hat es also wohl im letzten Augenblick doch noch funktioniert, dass einer ihrer Offiziere sie

auf den bevorstehenden Crash hinwies. Den Passagieren sitzt jetzt natürlich der Schreck im Nacken und sie fragen sich ängstlich, wie der Vogel im zweiten Landeanflug wieder runterkommt.

 

Nur die Kaltblütigeren unter ihnen sehen es optimistisch. Und vielleicht haben sie ja recht. Mit ein paar Reparaturen, mehr kompetenten Kopiloten und einem vitaleren Kapitän könnte die Kiste nach der prekären Landung vielleicht sogar wieder fliegen.

 

 

01.04.2021 08:53, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/211377