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Spahn hat es verkaspert

Der Lockdown geht in die nächste Runde und ein Ende ist nicht abzusehen. Dabei wurde Deutschland noch vor kurzem für seinen Umgang mit der Pandemie bewundert. Doch schon im Frühsommer war nicht das Krisenmanagement herausragend, sondern das Gesundheitswesen und die Menschen, die dort arbeiten. Die Arbeit der Beschäftigten im Gesundheitswesen und das anfänglich hohe Verantwortungsbewusstsein der Bürger bremsten die Pandemie zunächst aus.

 

Aber das Alles ist jetzt perdu. Der Anfangserfolg ist vertändelt und viele Anstrengungen waren vergebens. Hierfür gibt es einen offensichtlichen Grund: Der Gesundheitsminister bekommt viele technische Aufgaben einfach nicht auf die Reihe.

 

Es beginnt mit dem Mangel an Schutzkleidung und mit der zu seiner Verschleierung installierten Anti-Masken-Rhetorik. Es ging weiter mit hektischen Gegenreaktionen, in denen viel zu teure und oft auch noch minderwertige oder gefälschte Produkte eingekauft wurden. Später fehlten FFP 2 Masken, um die gesamte Bevölkerung so zu versorgen. Dabei ist schon lange klar, dass Community Masken und chirurgischer Mund- Nasenschutz am Anfang eine gute Notlösung waren, doch für eine erhöhte

Bedrohungslage nicht optimal sind. Darüber hinaus wurde der Schutz der besonders gefährdeten Menschen während des ganzen Jahres sträflich vernachlässigt.

 

Zwar ist der Schutz vulnerabler Gruppen nur in begrenztem Maße möglich. Aber der Gesundheitsminister hat gar nicht erst versucht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Zu diesen gehören schon wieder FFP2 Masken, aber auch Schnelltests. Es fehlen weiterhin tragfähige Konzepte für die Pflegeheime, die den Bewohnern nicht nur Sicherheit vor Ansteckung bieten, sondern auch deren Würde wahren und ihr Bedürfnis nach Kontakt zu ihren Lieben erfüllen. Noch schlimmer ist das Versagen des Ministers bei der Versorgung mit Impfstoffen. In Deutschland wurden wichtige Impfstoffe entwickelt und hergestellt. Trotzdem gibt es davon zu wenig und er wird zu langsam ausgeliefert.

 

Warum unterlaufen dem Gesundheitsminister so viele Fehler?

 

Jens Spahn ist mit dem Management der Pandemie überfordert, weil er mit dem Kopf nicht bei der Sache ist. Er hat ganz andere Prioritäten, die ihm am Herzen liegen und die er mit Gewalt in seiner Amtszeit durchboxen will. Die Rede ist von der Digitalisierung.

 

Auch bei der Pandemiebekämpfung war sein Lieblingsprojekt von vornherein die deutsche Corona App, die sich schon in kurzer Zeit als völlig untauglich erwiesen hat. Ärzte sprechen von „Rohrkrepierer-App“. Jens Spahn ist das egal. Für ihn ist Digitalisierung die Lösung von Allem und Jeden. Selbst einen Waldbrand würde er statt mit Wasser lieber mit einer App bekämpfen.

 

Viele Kommentatoren gaben dem bösen Datenschutz die Schuld an der fehlenden Funktionalität der Corona- App. Dabei ist der völlig unschuldig. Denn vom Datenschutzstandpunkt ist das Verfolgen von Bewegungsprofilen nicht verboten. Es ist gängige und erlaubte Praxis von Google, Amazon und Co. Der Fehler der Corona App besteht einfach darin, viel zu viel zu wollen und schlecht strukturiert zu sein.

 

Das ist kein Wunder, denn die Unternehmen, die in Deutschland IT -Lösungen für den Medizinbereich anbieten, sind extrem verwöhnt und nicht darin geübt, gute und taugliche Lösungen für die Praxis anzubieten. Die Schwäche der deutschen Medizin IT ist aus Bequemlichkeit geboren. Diese Bequemlichkeit wird ihr ermöglicht durch eine Szene deutscher Gesundheitspolitiker, deren erfolgreichster Exponent Spahn gerne wäre und vermutlich auch ist. Sie sehen sich in erster Linie als industriepolitische Förderer der Tech-Industrie. Sie glauben – und zwar völlig zurecht -, dass Erfolge bei der Digitalisierung über den zukünftigen Platz Deutschlands im internationalen Wettbewerb entscheiden. Allerdings hängen sie gleichzeitig der verrückten

Vorstellung an, dass man diese Erfolge dirigistisch erzwingen könne, indem man die Produkte der Tech- Industrie ihren Nutzern aufoktroyiert.

 

Statt nützliche Produkte anzubieten, die gekauft werden, weil sie den Alltag der User vereinfachen oder Diagnostik und Therapie verbessern, können sich IT-Unternehmen im Medizinbereich darauf verlassen, dass die Nutzer, also Ärzte und Krankenhäuser, von Staat und Krankenkassen gezwungen werden, ihre dysfunktionalen Programme zu kaufen

 

Ärzte sind IT begeistert

Dabei muss man Ärzte nicht zur IT zwingen. Die meisten Ärzte sind große Fans von sinnvollen Softwarelösungen, sie wollen künstliche Intelligenz nutzen, sie benutzen schon lange digitale Mustererkennung in diagnostischen Geräten und ergänzen so ihre eigenen Kompetenzen.

 

Ärzte haben allerdings auch ein überdurchschnittliches Bedürfnis danach, dass Software und Geräte tadellos funktionieren. Zum einen sind sie daran gewöhnt, mit zertifizierten Produkten zu arbeiten. Denn die Sicherheit ihrer Patienten hat höchste Priorität. Jede Fehlfunktion von Medizinprodukten hat das Potenzial zu einem Haftpflichtschaden oder auch zu einem öffentlichen Skandal. Außerdem arbeiten Ärzte unter enormen zeitlichem Druck, bei gleichzeitig hoher Verantwortung, in den letzten Jahren noch verstärkt durch stetig steigende bürokratische Anforderungen.

 

Der Ausfall von Computersystemen und andere Probleme der EDV, salopp gesagt der übliche schlamperte Zustand der Windows-Welt, kann von ihnen noch schwerer ertragen werden als von Otto Normalverbraucher. Apple-Produkte sind in Medizinerkreisen nicht deshalb so verbreitet, weil wir hoffen, dass uns endlich einmal jemand zu einer Clubhouse Session einlädt, sondern weil die Intoleranz gegen Fehler so ausgeprägt ist.

 

Diese Abneigung der Mediziner gegen unausgegorene IT-Produkte zu überwinden, ist das erklärte Ziel von Jens Spahn. Er will sich dadurch als Macher und Durchsetzer profilieren, dass er den Ärzten und anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen eine Flut von digitalen Katastrophen-Produkten aufzwingt, die völlig überteuert aber trotzdem unausgegoren, schlecht funktionierend, zeitraubend und schädlich sind.

 

Wenn der Gesundheitsminister der oberste Lobbyist der IT Industrie ist

 

Gerade wurde sein drittes Digitalisierungsgesetz durchgepeitscht. Unbemerkt und undiskutiert von der Öffentlichkeit, die sich vor allem mit Corona beschäftigt, während Spahn mit dem Fokus seiner Gedanken und seines Bemühens bei seiner Vorliebe für digitalen Murks bleibt.

 

Wie wenig die Projekte taugen, die er mit großem Eifer vorantreibt, sei an zwei Beispielen gezeigt.

 

Steinzeit Konnektoren für die Telematik-Infrastruktur

 

Der Anschluss von Arztpraxen an eine zentrale Telematik-Infrastruktur. Ärzte sollen ihre Praxis über Konnektoren direkt an die TI-Infrastruktur, und damit auch ans Internet, anschließen. Zwei Millionen Heilberufler, vom Apotheker bis zum Zahntechniker, sollen zugangsberechtigt sein. Eine Datenschutz-Folgeabschätzung gibt es nicht. Wie einfach dieser Konnektor zu hacken ist, hat der Chaos Computer Club schon gezeigt.

 

Für Ärzte und Psychotherapeuten ist es eine Horrorvorstellung, sich irgendwann in der Presse zu finden, weil

Daten der eigenen Patienten gehackt wurden. Trotzdem wurden die Konnektoren massenweise installiert. Denn der Gesundheitsminister bestraft alle Ärzte, die den Anschluss verweigern mit empfindlichen Honorareinbußen. Natürlich wehren Ärzte sich dagegen (https://www.gesundheitsdaten-in-gefahr.de), aber bislang mit wenig Erfolg. 

 

Während unbotmäßige Ärzte zur Kasse gebeten werden, dürfen die Unternehmen, die die Konnektoren herstellen, sich über ein Milliardengeschäft freuen. Die für über eine Milliarde Euro in 2019 und 2020 angeschafften Konnektoren entsprachen schon bei ihrer Installation nicht mehr dem Stand der Technik und sollen deshalb 2022 durch eine modernere Cloudbasierte Vernetzung der Arztpraxen ersetzt werden. Das Milliardengeschäft mit den Steinzeit-Konnektoren wollte Minister Spahn und sein Ministerium den IT-Firmen aber trotzdem nicht nehmen. Immer mehr Ärzte und Psychotherapeuten (http://wispa-muenster.de) kritisieren diese Industrieförderung auf Kosten des Datenschutzes.

 

Jetzt verbinden diese Konnektoren die Karteien der Ärzte mit dem Internet und warten auf den nächsten großen

Datenskandal. Finnland hat ihn bereits erlebt. Dort wurden Psychiatriedaten im großen Stil gehackt, Tausende

Patienten erpresst und zu Zahlungen in Bitcoin erpresst.

 

Der digitale Gelbe Schein

Ab Januar 2021 sollten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch übermittelt werden. Hört sich gut an, verursacht in den Arztpraxen aber enorme Mehrarbeit, während es möglicherweise in den gemütlichen Stuben der Krankenkassen ein wenig Arbeit einspart. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der berühmte gelbe Schein, ist heute noch mit ein paar Klicks über die Praxis EDV auszudrucken. Für die neue elektronische Variante hingegen werden einige Minuten Arbeitszeit der Medizinischen Fachangestellten benötigt. Bei Störungen im Netz funktioniert sie natürlich gar nicht.

 

Kein Arzt würde sich daher freiwillig so eine Anwendung zulegen. Keiner der Verantwortlichen glaubt, dass diese halbwegs zuverlässig funktioniert, so dass es zusätzlich zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch einen Ausdruck auf Papier geben wird. Der gelbe Schein wird durch die EDV also nicht überflüssig gemacht. Ein Lichtblick für Ärzte: Kurz vor dem geplanten Start dieser Anwendung wurde dieser auf Oktober verlegt und die nächste Verlegung wird schon vorbereitet.

 

Jens Spahn stört es nicht, dass die vorgesehenen User seine digitalen Lösungen nicht freiwillig installieren wollen. Er verwendet Unmengen von Zeit und Energie darauf, sie durch mehr oder weniger subtile Zwangsmaßnahmen dazu zu zwingen. Klar, dass dann für lästige Aufgaben wie die Beschaffung von Schutzkleidung und Impfstoffen nur noch wenig Zeit bleibt. Man kennt das von manchen jungen oder auch alten Freunden des Computerspiels – das echte Leben leidet unter der digitalen Obsession.

 

02.02.2021 14:39, Autor: Dr. Matthias Soyka, Hamburg, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/210255