Über vierhunderttausend Medizinische Fachangestellte (MFA) und zweihunderttausend Zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) arbeiten in deutschen Praxen. Zusammen mit ihren Arbeitgebern, den niedergelassenen Ärzten, halten sie den Betrieb des deutschen Gesundheitswesens am Laufen. Ihre Arbeit ist eine wesentliche Bedingung dafür, dass der ambulante Zweig der Medizin trotz aller Kürzungen, Reglementierungen und Fehlreformierungen noch so gut funktioniert. Ihr Engagement bewirkt auch, dass viele Patienten die Krise des Gesundheitswesens noch gar nicht zu spüren bekommen. Dieser Einsatz wird den MFA nicht in ausreichender Weise honoriert. Nicht von den Patienten, nicht von der Öffentlichkeit und in manchen Fällen auch nicht von ihren Arbeitgebern.
Die Medizinischen Fachangestellten haben das Pech, in einer Schere festgeklemmt zu sein. Seit zwei Jahrzehnten ändern sich die Umsätze der niedergelassenen Ärzte nicht. Die Gesamtsumme, die die gesetzlichen Krankenversicherungen in den ambulanten Sektor einzahlen, hat sich zwar ein wenig erhöht. Diese Zusatzeinnahmen kommen aber nicht bei den
grundversorgenden Ärzten an, sondern landen bei Klinikambulanzen oder Laboren. Die Umsätze der niedergelassenen Kassenärzte sind daher seit zwanzig Jahren nahezu unverändert, während die Kosten für Geräte, Miete
und auch Löhne steigen.
Wegen der prekären Umsatzsituation stiegen die Tariflöhne der MFA allerdings über viele Jahre sehr viel schwächer als die in anderen Branchen. Erst in den letzten Jahren kam etwas Bewegung in die Tarifsituation der MFA. (Und diese schlappen Erhöhungen bringen manche Praxis schon in echte Schwierigkeiten!)
Doch oft kamen diese Erhöhungen zu spät oder waren nicht ausreichend. Das niedrige Gehaltsniveau führte dazu, dass immer mehr MFA nach ihrer Ausbildung in andere Bereiche abwanderten. Dadurch wird es für die Praxen immer schwieriger, offene Stellen mit guten Leuten zu besetzen. Zu den Arbeitgebern, die sich über die in den Praxen ausgebildeten Arbeitskräfte
freuen, gehören vor allem Krankenkassen und Kliniken. Letztere zahlen den MFA meist weniger als ihren Krankenschwestern, aber immer noch mehr als den MFA in vielen Praxen.
Das Sozialprestige der deutschen MFA ist dabei nicht so hoch, wie es sein sollte und wie es wäre, wenn es gerecht zuginge. So werden sie meist nicht nur schlechter bezahlt als Krankenschwestern, die Anerkennung, die ihnen entgegengebracht wird, ist auch nicht so hoch wie die anderer Berufe im Gesundheitswesen.
Es fängt schon mit der Berufsbezeichnung an
Statt der offiziellen Bezeichnung „Medizinische Fachangestellte“ wird von vielen überheblichen Menschen immer noch das geschlechtslose und unpersönliche Wort „Sprechstundenhilfe“ verwendet, und zwar nicht nur von Patienten, sondern auch in Artikeln seriöser Zeitungen.
Auch Zeitbürger, die sich sonst für links oder sozial halten, finden nichts dabei, ein Wort wie „Sprechstundenhilfe“ zu verwenden. In einem Land, in dem man schon aufpassen muss, dass man
Süssigkeiten aus billigem Eiweißimitat mit Schokoüberzug nicht falsch benennt, und in dem das Wort „Zigeunerschnitzel“ zu einem mittleren Aufstand führen kann, lässt sich die
Frechheit, Medizinische Fachangestellte als „Sprechstundenhilfe“ zu bezeichnen, anscheinend nicht ausrotten.
Dabei ist vermutlich jedem klar, dass es eine Beleidigung ist, wenn man seine Putzfrau als „Putze“ bezeichnet, also als geschlechtsloses Ding. Aber „Sprechstundenhilfe“ scheint immer zu gehen, insbesondere dann, wenn Aggressionen an der Rezeption transportiert werden.
Denn vor allem, wenn es mal nicht so läuft, wie ein Patient es sich vorstellt, sind oft die Medizinischen Fachangestellten die Sündenböcke.
Die Frechheit an der Rezeption hat viel damit zu tun, dass in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt wird, dass der Beruf der Medizinischen Fachangestellten einer der wichtigsten
und komplexesten im Gesundheitswesen ist.
Was macht eigentlich eine Medizinische Fachangestellte?
Medizinische Fachangestellte sind ziemliche Allroundtalente. In unserer Praxis zum Beispiel machen sie Verbände und Gipsverbände wie die Krankenschwestern einer Unfallambulanz. Sie röntgen wie Medizinisch- Technische Radiologie-Assistentinnen. Sie machen physikalische Therapie wie medizinische Bademeister oder Masseure. Sie legen Tape-Verbände an wie Physiotherapeuten. Sie kümmern sich um die Abrechnung und Dokumentation. Sie schreiben Arztbriefe wie Sekretärinnen. Wir haben MFAs, die sich hochprofessionell um Hygiene, Datenschutz oder Qualitätsmanagement kümmern. Ein Team bewerkstelligt den Einkauf und das Bestellwesen. Unsere MFAs sind in der Schmerztherapie eingesetzt, sie kümmern sich um die EDV-Anlage, um Strahlenschutz und Knochendichtemessung. Die MFAs der Gynäkologie sind in der Schwangerenvorsorge
eingesetzt, bedienen den Wehenschreiber wie eine Hebamme und sind für viele Patientinnen die vertrauensvolle erste Ansprechpartnerin. In anderen Praxen führen MFAs EKGs, Lungenfunktionsuntersuchungen, Augenuntersuchungen, Sehtests, Langzeit-Blutdruckmessungen und viele weitere verantwortliche Tätigkeiten durch.
Und nicht zuletzt meistern sie die schwere Aufgabe, an Telefon und Rezeption die Termine zu planen und zu vergeben und dafür zu sorgen, dass jeder Patient in der medizinisch richtigen Reihenfolge auf die verschiedenen Ärzte und Funktionsbereiche zugeordnet wird.
Schwierige Menschen
Die überwiegende Mehrheit unserer Patienten zollt der Leistung unserer Medizinischen Fachangestellten großen Respekt. Oft loben Patienten im Arztzimmer die junge Frau oder den jungen Mann an der Rezeption, die auch bei tsunamiartigen Wellen von Notfällen Freundlichkeit und Übersicht bewahren. Aber es gibt auch eine kleine Minderheit von Menschen, die sich nicht einmal bemüht, sich in die Lage der MFA an der Rezeption hineinzuversetzen. Diese schwierige Klientel findet nichts dabei, sich selbst in solchen Situationen unsachlich zu verhalten, in denen die Arbeitsbelastung des medizinischen Personals für jeden normal denkenden Menschen zum Greifen spürbar ist.
Oft genug sind unsere MFA deshalb auch Psychologen, Deeskalationsspezialisten oder auch mal die Security.
Das alles ist in der öffentlichen Wahrnehmung nicht richtig abgebildet. Hier wären auch die Ärzte gefordert, ihre
Angestellten besser zu unterstützen.
Unterlobt und überarbeitet
Der Praxis- und Heilberufsberater Stephan Kock charakterisiert die Situation der MFA sehr treffend mit der Formulierung „Unterlobt und Überarbeitet“. Nach meiner Meinung sind sie zudem deutlich unterbezahlt. Wenn ich höre, was die Angestellten von Freunden und Bekannten verdienen, die mittelständische Unternehmen leiten, bekomme ich rote Ohren, obwohl wir in
unserer Praxisgemeinschaft übertariflich zahlen und viele Sonderleistungen haben. Natürlich gibt es auch noch schlechter bezahlte Jobs, aber Leute, die so viel können, leisten und ertragen wie unsere MFA, bekommen in der freien Wirtschaft deutlich mehr.
Gute Bezahlung der MFA ist das ureigene Interesse der Ärzte
Deshalb müsste es auch das ureigene Interesse der Ärzte sein, sich für höhere Bezahlungen der MFA einzusetzen. Wir bilden große Mengen von MFA aus, erhalten dafür anders als andere Branchen keinerlei finanzielle Unterstützung, und können dann zusehen, wie ein großer Teil der von uns Ausgebildeten von anderen, besser bezahlenden „Playern“ im Gesundheitswesen weggeschnappt wird.
In der Coronakrise hielten die MFA, zusammen mit ihren Chefs, die Stellung. Auch diejenigen, die im öffentlichen Dienst als zu Risikogruppen gehörend freigestellt worden wären, erschienen in der Regel zuverlässig zum Dienst in den Praxen.
Trotzdem gibt es keine staatlichen Unterstützungen für diese Heldinnen und Helden der Pandemie, allenfalls kann der Praxisinhaber Sonderzahlungen leisten.
Hier ist dringender Handlungsbedarf. Die MFA müssen vom Staat, den Kassen aber auch von ihren Chefs mehr unterstützt werden. Wenn diese wichtige Stütze des Gesundheitswesens nicht wegbrechen soll, muss mehr Geld für sie in die Hand genommen werden.
Extrazahlungen der Kassen für die MfA
Ich war immer der Meinung, es sollte Extrazahlungen der Kassen für jede angestellte MFA geben. In einer Kolumne über die Bundestagsabgeordneten hatte ich dargelegt, wie sich die Zahlungen an die MdBs zusammensetzen. Sie erhalten neben dem Salär für sich selbst zweckgebundene Mittel für ihr Personal, und zwar in Höhe von 22201 Euro – pro Monat. Das wäre doch auch ein Modell für die Praxen!
(Falls es ärztliche Leser geben sollte, die vor allem die Nachteile der Freiberuflichkeit für sich in Anspruch nehmen wollen und deshalb Lohnzuschüsse generell ablehnen, sei darauf verwiesen, dass auch die Kliniken solche Zahlungen nicht schlecht finden und die Zahlungen für Investitionen und Neubauten sowieso gerne annehmen)
Ein Hausarztkollege, mit dem ich diese Kolumne besprach, hat hierzu einen ähnlichen, aber leicht abgewandelten Vorschlag.
Er befürchtet, dass zusätzliche, für die MFA gedachte Zahlungen in vielen Fällen irgendwie nicht bei den Adressaten ankommen könnten und hat die Meinung, die Kassen sollten die MFA lieber direkt bezahlen – und zwar in ähnlicher Höhe wie eine Krankenschwester. Mir wäre es für uns Ärzte peinlich, wenn seine Prämisse stimmen würde, aber sein Vorschlag wäre mir auch recht, wenn die MFA dadurch im Endergebnis mehr Geld und so auch Anerkennung erhielten.
Denn eines ist sonnenklar: Ohne unsere Medizinischen Fachangestellten würde der ganze Laden
zusammenbrechen!
Quelle: Nicht ohne unsere MFAs, erschienen in AEND
https://www.aend.de/article/208006 (13.09.2020)