120 Teilnehmer beim diesjährigen Bergedorfer Sportmedizin Symposion im Reinbeker Schloss.
Hier ist mein Bericht darüber:
Jedes Jahr freue ich mich auf das Bergedorfer Sportmedizin Symposion, das ich und meine Kollgen von der AKTIVION-Sportmedizin.Praxis 2010 zum ersten Mal veranstalteten.
Später kamen noch die Axis Forschungsstiftung von Prof. Jürgens Bruns und das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus Hamburg Boberg als Veranstalter hinzu. Seitdem teile ich mir die Moderation mit Jürgen Bruns und Dr. Helge Riepenhof, der dem Symposion auch in der Zeit verbunden war, als er als Vereinsarzt von AS Rom sich mit prominenteren Wehwechen auseinandersetzen musste. Seit Helge Riepenhof die Leitung der Reha Abteilung im BG Klinikum übernommen hat, ist die Zusammenarbeit noch besser geworden.
Seit 2017 hat die Agentur Kretschmann und Kretschmann die Organisation der Veranstaltung inne. Wir kümmern uns als Veranstaltungsleitung und Moderatoren nur noch um den Inhalt. In den vergangenen Jahren waren die typischen Probleme von Leistungssportlern - ob am OSG , dem Knie, der Schulter oder der Hüfte im Fokus.
In diesem Jahr ging es um die Verbindung von Sportmedizin und Schmerztherapie bei der Behandlung chronischer Rückenschmerzen. Das lag mir besonders am Herzen. Denn gar nicht so selten gibt es Fragen von Kollegen und Patienten, wie denn die beiden Schwerpunkte unserer Praxis - Sportmedizin und Schmerztherapie - zusammen passen.
Sie passen natürlich sehr gut zusammen. Denn viele Methoden des einen Schwerpunkts lassen sich mit Erfolg auch beim jeweils anderen einsetzen. Vor allem der Einsatz von Bewegung als Heilmittel bei chronischen Schmerzen ist zum Glück inzwischen allgemein anerkannt. Das war nicht immer so. In früheren Jahrzehnten war der Rat zur Schonung ständiges Mitglied im ärztlichen Repertoire.
1988 erschien ein revolutionäres Buch zweier Sportmediziner aus Texas, die dort erfolgreich erstmals die multimodale Therapie anwendeten. „Functional Restoration - The Sportsmedicine Approach“ von Mayer and Gatchel.
Der sportmedizinische Ansatz revolutionierte vor 30 Jahren die Behandlung chronischer Rückenschmerzen. Schonung war out, dosierte Belastung und Training wurden „Mittel der Wahl“. Die Psyche wurde auch von uns Orthopäden und Unfallchirurgen als wichtiger Faktor der Chronifizierung entdeckt – aber auch zu deren Überwindung.
Unsere Veranstaltung bot einen Überblick über die Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre multimodaler Rückentherapie.
Mein persönliches Highlight der Veranstaltung war der Vortrag von Prof. Michael Pfingsten, der Anfang der 1990er Jahre zusammen mit Prof. Gerd Hildebrandt das texanische Konzept an der Uniklinik Göttingen praktisch umsetzte – als Pioniere der multimodalen Therapie in Deutschland.
Er erklärte welche psychische Mechanismen zur Chronifizierung von Rückenschmerzen beitragen. Es ging dabei in seinem Vortrag nicht um psychische Krankheiten oder Probleme. (Auch wenn natürlich auch psychische Störungen zur Chronifizierung beitragen können.) Im Fokus des Vortrages von Prof. Pfingsten stand vielmehr der psychische Mechanismus, der bei psychisch völlig unauffälligen Menschen , also „bei uns allen“ zur Chronifizierung führen kann. Dies geschieht über Konditionierung und über Lernprozesse. Die entscheidende Faktoren dabei sind die Angst und die Angstvermeidungsverhalten.
Dass Angst die wichtigste Rolle bei der Dekonditionierung spielt, ist nicht nur wissenschaftlicher Konsens, der in Leitlinien Eingang findet. Es ist auch meine persönliche Erfahrung aus vielen Jahren, in denen ich Rückenpatienten behandle. Über das bekannte „Fear avoidance“ Modell zur Erklärung psychischer Dekonditionierung beim Rückenschmerz habe ich schon viel gelesen und viele Vorträge gehört, aber noch nie so klar und mitreißend wie in dem Vortrag von Michael Pfingsten auf unserem Symposion. Die Teilnehmer waren begeistert.
Sein Vortrag wurde ergänzt durch den von Dr. Joachim Mallwitz vom Rückenzentrum am Michel. Hier wird seit dem Jahr 2000 das Konzept der multimodalen Therapie angewandt. Für die Teilnehmer besonders war interessant das Konzept des „Work hardening“. Bei dieser Therapieform lernen die Teilnehmer in alltags und berufsnahen Situationen Bewegungen repetitiv durchzuführen, vor denen sie sich bislang ängstigten. Angstabbau durch Bewegung und Training ist das Rezept der enormen und messbaren Erfolge dieser Therapie.
Die anderen Referenten hatten es durch diese Vorgaben nicht gerade leichter, aber auch sie glänzten durchweg mit interessanten und mitreißenden Vorträgen.
Dr. Naschmil Pollman von der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur berichtete über die Erfahrungen von 10 Jahren, in denen die Akupunktur als Kassenleistung beim Rückenschmerz eingesetzt wird.
Dr. Jens Lohmann, Oberarzt in der Spinalen Chirurgie der Schön-Klinik Eilbek, sprang für den verhinderten Dr. Doyscher an und hielt einen präzisen Vortrag über Injektionsbehandlung am Rücken. Er war nicht nur praxisrelevant, sondern gab auch einen guten Überblick über die Studienlage und die wissenschaftliche Evidenz der einzelnen Methoden.
Dr. Heide Kuhlow und Dr. Sascha Kluge vom BG-Klinikum Hamburg Boberg hielten sehr konkrete und detaillierte Vorträge über die Resultate der multimodalen Behandlung im Rückenkolleg der BG und über Instrumente des Assesments und der Behandlung bei Rückenerkrankungen und Verletzungen.
Der bekannte Hamburger Physiotherapeut Claus Melzer beeindruckte uns mit seinem profunden Wissen zum Muskelaufbau bei Rückenpatienten. Ich selbst habe mein Training danach ein wenig umgestellt.
Abgerundet wurde das Themenspektrum durch einen Überblick zur Berufskrankheit Rücken BK 2108, das
Prof. Albert Nienhaus (UKE und BGW) in gewohnt klarer und intellektuell ansprechender Form hielt. Die Berufskrankheit war früher umstritten,
auch heute ist die Frage immer noch spannend, wie ein so häufiges Leiden wie Rückenschmerzen berufsspezifisch sein kann. Letztlich wurde deutlich, dass die Entscheidung für die BK2108 eine
politische war, denn sie wurde im Einigungsvertrag festgeschrieben. Diese Berufskrankheit ist also irgendwie auch ein kleines Überbleibsel der alten DDR -ähnlich wie der grüne Abbiegepfeil und
das Ampelmännchen. Die positiven Effekte der Berufskrankheit für den Rücken sind aber unübersehbar. Dazu ist auch die effektive Prävention wie das Rückenkolleg der BGW für Pflegekräfte zu
rechnen, dessen Ergebnisse im Vortrag von Dr. Kuhlow thematisiert wurden.
Und schließlich freute ich mich darüber, dass auch ich einen Vortrag halten durfte, der sich u.a. mit der Frage beschäftigt, wann und wozu man bei Rückenschmerzen einen Arzt aufsuchen sollte.
Vor allem, weil ich dabei zwanglos sowohl auf mein Buch „Wahnsinn Wartezeit“ als auch auf das demnächst erscheinende neue Buch zur Eigenbehandlung bei akuten Rückenschmerzen hinweisen konnte.
Die Diskussion war lebhaft, aber freundlich in Ton und Argumenten. Jeder nahm etwas für die tägliche Praxis mit nachhause. Das Ganze klang auch noch nett aus. Insgesamt war es daher – so empfand ich es - einerseits so wie immer und andererseits ganz besonders gelungen.